Die Angst vor dem Sterben

Liebe Leserinnen und Leser der nachfolgende Text ist eine Zusammenfassung meines Manuals zu dem Seminar „Die Angst vor dem Sterben“, welches ich im Mai in Frankreich gehalten habe. Es enthält Gedanken und Beobachtungen rund um das Thema Sterben und möchte dich einladen, selbst einmal zu diesem Thema hinzuspüren. Der Text ist sehr umfänglich und vielleicht für Dich auch stellenweise sehr berührend. Deshalb kannst du dir erlauben ihn dir so einzuteilen, wie es dir gut tut. Ich wünsche dir gute und wohltuende Erkenntnisse beim Lesen.

(Thanatophobie ist eine starke Angst vor dem Tod oder dem Sterbeprozess.)

Die Angst vor dem Sterben und noch weiter, die Angst vor dem Tod, sind die Urängste des Menschen. Im Yoga wird sie sogar die Mutter aller Ängste genannt.

Ich möchte hier betonen, dass ich dieses Thema mit äußerstem Respekt behandele, da mir natürlich die Angst vor dem Sterben auch nicht fremd ist.

In dieser Angst bündeln sich alle Qualen des Nicht-Gelebten, alle Sorgen über vermeintliche Fehler, alle Verlust- und Verlassenheitsängste, alle nicht verwirklichten Träume, alle unerfüllten Sehnsüchte, alles, was versäumt wurde, alles was unerledigt blieb und alles, was hätte sein können.

In unserem alltäglichen Leben existieren wir, als ob der Tod keine Rolle spielt, als ob das Ende des Lebens und aller Dinge nur die Anderen und uns nicht betreffen würde. Und doch tauchen dann immer wieder Momente auf, in denen wir voller Schrecken erahnen, dass dem nicht so ist.

Wie wäre es, sich einmal Zeit zu nehmen und achtsam und sensibel die Wurzel aller Ängste sorgsam zu betrachten?

Als ich mir dieses Thema vorgenommen habe, interessierte es mich zwar sehr, doch die eigenen Erfahrungen mit dem Tod von Menschen, die mir einmal nahestanden, waren schon ein wenig in die Watte, die die Zeit entstehen lässt, verpackt.

Doch dann wurde im letzten Jahr mein Mann schwer krank, und wir wussten nicht, ob er überleben würde und wie das Leben, falls er es behalten dürfte, nach diesem Ereignis weitergehen würde.

Ich möchte euch ein wenig an dieser Erfahrung aus dieser Zeit teilhaben lassen.

Für mich war dieser Moment, als mein Geliebter mit seinem Leben rang, ein absolut existenzieller Moment. Nichts außer diesem Moment und der Tatsache, dass das Leben meines Mannes an einem seidenen Faden hing hatte Bedeutung. Ich steckte in einem Tunnel und mein System funktionierte mehr, als dass ich lebte, hin und her gezogen zwischen Sorgen, Aktivismus und Aushalten. Ein Leben auf Messers Schneide, für ihn in einer ganz existenziellen Art und für mich ging es um meine Liebe und das Leben, das ich mit ihm an meiner Seite führen wollte. In mir war eine bis dahin nicht gekannte Angst, die ich nur besänftigen konnte, indem ich immer wieder neu gut mit mir in Kontakt war, bzw. dorthin zurückkehrte.

 

Für mich ist in dieser schweren Zeit deutlich und spürbar geworden, dass ich, um mein Herz zu öffnen, um Verständnis zu haben, um Mitgefühl für mich und für die Menschen um mich herum haben zu können, eine Sicherheit in mir, eine Sicherheit in meinem Herzen brauche. Und je unsicherer ich mich fühle, desto mehr schmilzt meine Kompetenz als Mensch, als Mitmensch zu einem kleinen Kern, der sich dunkel und hart anfühlt.

Wenn ich nicht gut bei mir verweilen kann, ich mich in katastrophalen Phantasien verliere und verausgabe, die zu all der Sorge noch hinzukommen, hinterlässt dies ein Gefühl der Ohnmacht und ein Bedürfnis mich mit meinem gefühlt zusammenschrumpelnden Herzen zu verkriechen. Und die Angst wird immer stärker.

Umso wichtiger war und ist es die erlernten Werkzeuge, wie in meinem Falle Yoga, Meditation und verschiedene Ausrichtungsübungen zu praktizieren, um in gewisser Art und Weise stabil zu bleiben. (Spoiler: es hat gewirkt 😉)

Nicht weniger wichtig war und ist ein gutes und tragendes Netzwerk an einfühlsamen Menschen, die unterstützen und mittragen. (Danke an meine liebe Familie und meine beeindruckend präsenten Freunde, danke)

Was kann ich sagen?

Letztendlich ist es so, dass ich über das Sterben und den Tod nur theoretisch sprechen kann. Denn zweifellos lebe ich noch.

Sterben und auch den Tod kenne ich nur durch das Miterleben, durch das Sterben von Menschen, die mir nahe sind, oder durch Erzählungen von Menschen, die das Sterben ihrer liebsten Menschen verwundet und betroffen gemacht hat.

Nahtoderfahrungen durfte ich in meinem Leben zwei Mal machen und beide Male hat sich erstaunlicher Weise die Angst nicht gezeigt, sondern nur ein sehr intensives und fokussiertes Erleben, eine ungewohnte Distanz zu allem, was aber die Betrachtung noch klarer machte.

Bei all dem, was ich erfahren und lernen durfte, mischt sich in meine Vorstellung von Sterben und Tod immer das hinein, was ich als Prägung mitbekommen habe.

Also, dass der Tod und das Sterben wie ein Gegner des Lebens gesehen wird. Etwas, das lange hinausgezögert werden soll und mit dem wir uns in unserem Alltag nicht beschäftigen. Dass das Lebensende Schmerz bedeutet und wir uns besser nicht damit beschäftigen, weil das unsere Lebensqualität mindert.

Und dennoch wissen wir in einem verborgenen Winkel unseres Gehirns, dass wir alle endlich sind. Dass wir alle irgendwann gehen werden. Dass entweder wir unsere Liebsten verlassen oder verlassen werden. Und wenn wir uns dem Thema Tod nähern, passiert das ganz oft über die Leidensgeschichte mit dem Verlust geliebter Menschen.

Und trotzdem darf ich wahrnehmen, dass es in meiner Trauer in erster Linie um mich geht und nicht um den Menschen, der gegangen ist. Und somit sagt der Tod und mein Verlust und mein Schmerz über diesen Verlust nichts über das Sterben aus.

Natürlich gibt es Menschen, die leider auf sehr qualvolle Art und Weise aus dem Leben scheiden, und das ist natürlich furchtbar. Niemand wünscht sich am Ende seines Lebens unerträglichen Qualen ausgesetzt zu sein, doch dies ist ein Sonderthema, das wir jetzt nicht in unseren Fokus nehmen wollen.

Was bedeutet es also zu sterben?

Das Leben hinter sich zu lassen, all dem, was ich erfahren habe, wird ein Ende gesetzt. Es ist etwas, was passiert und hat mich nicht um Erlaubnis gefragt.

So gesehen der ultimative Kontrollverlust, und das macht uns Angst. Natürlich habe ich in der Regel einen Einfluss darauf, wie ich sterbe. Doch mindestens so wichtig, wenn nicht wichtiger, ist es, Einfluss darauf zu haben, wie ich lebe.

Und deswegen ist es mir wichtig darüber zu reden, wie es gelingt, auf eine Art und Weise zu leben, dass ich gut aus dem Leben scheiden kann. Ein wertebasiertes Leben scheint mir hierfür wesentlich.

Welche Fragen könnten hierfür hilfreich für Dich sein?

Welche Werte möchtest du leben, um den Weg deiner eigenen Heilung zu gehen?

Welche Werte möchtest du wählen, um ihnen innerlich loyal zu sein und sie als Leitsterne für deinen Weg zu nehmen?

Welche Werte möchtest du bewusst annehmen und wählen, um dich und andere Menschen zu betrachten?

 

Warum belastet das Thema so sehr?

Warum belastet uns das Thema Tod und Sterben so unglaublich?

Ich glaube, dass wir in unserem Leben sehr nach Klarheit und Sicherheit streben. Klarheit und Sicherheit erreichen wir in einem hohen Maße durch Erfahrung und durch den Abgleich dieser Erfahrung. Erfahrung mit dem Thema Sterben und Tod können wir allerdings nur mittelbar machen. Das heißt, wir kennen dieses Thema nur durch den Tod von engen Angehörigen oder Freunden oder auch durch das, was wir von unserer Umwelt mitbekommen. Doch wenn ich auf diese Art und Weise das Thema Tod und Sterben betrachte, ist es immer vermischt mit dem Schmerz des Verlierens und der Angst vor einer ungewissen Zukunft (wie ich aus eigener Erfahrung bestätigen kann).

Dadurch ist das Thema immer gekoppelt an Emotionen, die uns tief im Herzen schmerzhaft berühren und daher sehr unangenehm sind. Wir versuchen, dieses Thema zu vermeiden, um Schmerz und Unsicherheit zu vermeiden.

Doch wie wäre es, wenn wir den umgekehrten Weg gehen und uns unabhängig machen von unseren Erfahrungen und versuchen, die Klarheit in uns zu finden?

Ich bin davon überzeugt, dass ich, wenn ich Klarheit über mein Leben entwickelt habe, wenn ich Klarheit darüber finde, wer ich bin und was der Sinn meines Lebens ausmacht, das Thema des Sterbens ein wenig seinen Stachel verliert.

Wenn ich mir erlaube, all das Diffuse und Beängstigende und Schmerzhafte erst einmal beiseite zu lassen und meinen Blick liebevoll und wohltuend sanft auf dieses Thema zu lenken, bin ich sicher, dass sich ein wenig dieser inneren Unruhe legt.

Einer der wirklich tiefen Gründe, warum wir Angst vor dem Sterben haben, ist, dass es dann nichts mehr zu tun gibt. Wir leben so, als ob wir unser Leben bis ins Letzte kontrollieren und gestalten können. Wir leben in einer Gesellschaft, in der etwas zu leisten der Lebensinhalt schlechthin zu sein scheint.

Unten drunter spüren wir immer wieder, dass das nicht so ganz stimmt, aber wir stellen uns dem Unbehagen, das wir empfinden, oft nicht. Wenn das Leben zu Ende geht, entweder unser Leben oder das geliebter Menschen, geht es nicht mehr darum, was zu tun oder zu lassen ist, sondern es geht darum, sich dem zu stellen, was nun als unverhüllte Tatsache im Raum steht. Das Leben ist endlich, und es gibt ganz eindeutig ein Vorher und ein Nachher. In unserem normalen Alltag versuchen wir Bedeutung zu erlangen, indem wir im Spiel um Leistung eine Rolle ergattern.

 

Worum geht es wirklich?

Wenn wir genau hinschauen, sind es nicht die materiellen Dinge, die uns bereichern, sondern all die menschlichen Begegnungen zwischen uns und Anderen.

Am Ende des Lebens kommen all die Dinge auf den Tisch, die wir bereuen, die wir getan und nicht getan haben, die unerfüllten Wünsche und die dunklen Geheimnisse.

Oft haben wir gute Gründe, uns dem, was da lauert, nicht zuzuwenden, doch dadurch wird die Last nur noch größer. Oft entwickeln wir sogar eine Angst vor der Angst und vermeiden alles, was mit dem Thema Endlichkeit zusammenhängt. Es sterben immer nur die Anderen. Doch die entscheidenden Fragen, die wir uns jetzt stellen dürfen, ist: Was ist es, was mich hält und was mich trägt und was mich auch in schweren Zeiten nicht verzweifeln lässt?

Was brauche ich für ein gutes und erfülltes Leben, trotz meiner Schmerzen und Schwierigkeiten?

Und was braucht es denn letztendlich für einen guten und würdevollen Tod? Worin kann ich Trost finden und was ist es, was bleibt, wenn doch all das, was mich umgibt, flüchtig erscheint?

Wie gelingt es mir, bei mir zu sein und auch in schwierigen Zeiten mich nicht zu verlassen?

Wie gelingt es, Schwierigkeiten, auch körperliche Beschwerden, die Angst zu verlassen oder verlassen zu werden, zu ertragen und in Zeiten größter Not sich selbst als Mensch verbunden zu bleiben?

Wenn das Leben, wie ich es bisher kannte oder mir wünschen würde, sich auflöst und ich nur noch in mir selbst einen Sinn finden kann?

Marilyn Yalom, die Frau des bedeutenden Psychoanalytikers Irvin D. Yalom, sagte kurz vor ihrem Tod, dass sie gut aus dem Leben scheiden könne, weil sie so wenig zu bereuen habe.

Nikos Kazantzakis lässt Alexis Sorbas in seinem Roman den Satz sagen: „Lass dem Tod nichts als ein heruntergebranntes Schloss.“

Und ich glaube, dass ein Leben in Fülle, ein lebendiges Leben, wie auch immer das für den/die Einzelne/n aussieht, uns den Abschied erleichtert.

 

Legen wir los und finden heraus, was hilft.

Und wir tun das am besten gemeinsam, in Verbindung, in achtsamer und wertschätzender Gemeinschaft von Menschen, die interessiert sind, herauszufinden, was das Leben im Kern ausmacht.

Und damit haben wir schon einmal einen wesentlichen Schritt getan, denn viele von uns haben im Laufe ihres Lebens gelernt, dass es besser ist, uns zurückzuziehen und mit unserem Schmerz alleine klarzukommen, wenn wir keine schöne Fassade präsentieren können. Wir haben leider oft gelernt und erfahren, dass da sowieso niemand ist, der interessiert ist, der verstehen will, der einfach nur da sein möchte.

Doch hier und jetzt machen wir es anders. Wir tun uns zusammen, wir schauen gemeinsam hin, wir betrachten, berühren, fühlen und halten gemeinsam. Und dies ist schon einmal ein so wichtiger Aspekt:

sich zu erlauben, in Verbindung zu gehen und mit den eigenen vermeintlichen Schwächen sichtbar zu werden. Betrachten wir einmal, worum es geht:

Jeder von uns hat eine bestimmte Zeit, eine bestimmte Lebenszeit schon hinter sich und eine unbestimmte Zeit vor sich. Und mittendrin ist das Jetzt, das alles und nichts ist und letztendlich unser Leben ausmacht.

Wir alle kennen das Gefühl, als ob unser Universum untergeht, der Boden unter unseren Füßen verschwindet und wir nahezu ins Bodenlose fallen, wenn aller Halt verschwindet.

Und gleichzeitig kennen wir auch das, wenn vor uns und besonders in uns neue Universen entstehen, wenn es gelingt, den Blick zu heben.

Wir kennen es, wenn unser Leben, wie wir es kannten, von jetzt auf nachher völlig endet und in einem anderen Licht erscheint, sich neue Möglichkeiten zeigen und wir die Richtung und die Räume wechseln. Manchmal schmerzhaft, manchmal voller Freude, manchmal leise und fast unbemerkt. Unser Leben ist ein ständiges Kommen und Gehen, ein Verweilen und sich verändern.

Jede kleine Entscheidung ist der kleine Tod der verneinten Möglichkeiten und ein Leben der Möglichkeit, denen ich mich zugewandt habe. Unser ganzes Leben lang sterben wir regelmäßig immer wieder kleine Tode, und interessant ist, wie das Leben danach weitergeht.

Finden wir ins Leben zurück?

Können wir die kleinen Tode hinter uns lassen oder ziehen wir sie ein Leben lang hinter uns her?

Welchen Tod möchtest du für immer hinter dich lassen, und was braucht es dafür?

Wie möchtest du den kleinen Tod hinter dir lassen, und wie willst du ihm Ehre erweisen?

Wer soll an deiner Seite stehen?

Mensch oder Kraft oder Tier oder Energie?

Und was soll dafür in dein Leben kommen?

 

Meine persönliche Sicht auf die Angst vor dem Sterben.

Während wir sterben, schwindet langsam das Bewusstsein und die Wahrnehmung für die Welt, die uns umgibt. Ein Leben lang sind wir damit beschäftigt, genau diese Wahrnehmung zu analysieren, Dinge, Menschen und Situationen zu überprüfen, um Sicherheit zu generieren.

Wenn wir uns auf unsere letzte Reise machen, haben wir keine Referenz, von dem, was uns erwartet, und das wirft ein hohes Maß an Unsicherheit auf. Wir haben keine Vorstellung davon, was nach dem Tod sein wird, und das bereitet uns Angst, denn mit dem Verstand können wir nicht erfassen, was kommen wird.

Ich bin davon überzeugt, dass, wenn wir uns immer sicherer in uns selbst fühlen und gut mit uns selbst verbunden sind, die Angst vor dem Sterben abnimmt.

Ähnlich und doch anders ist es, wenn ein geliebter Mensch in unserer Nähe vom Tod bedroht ist, sterben wird oder stirbt. Dann entzieht sich das, was mit diesem Menschen passiert, total unserer Kontrolle, und auch das bereitet uns Angst.

Wir haben ein Gespür dafür, dass eine riesige Lücke entstehen wird, und das Leben danach nicht mehr das gleiche sein wird, und auch das bringt unsere Sicherheit ins Wanken.

Von klein auf bekommen wir beigebracht, wie wichtig es ist, im Leben etwas zu erreichen, wie wichtig es ist, Güter, Freunde, Ansehen anzuhäufen und aus ihnen einen gewissen Wert zu generieren.

Wir bekommen jedoch nicht beigebracht, wie man diese Dinge und auch Menschen wieder loslässt ohne Verlierer zu sein.

Da wir nur davon wissen, wie wichtig es ist zu sammeln und festzuhalten macht uns das Loslassen immense Angst wir haben keine Vorstellung davon, wie das gehen kann. Und das, obwohl die meisten von uns bereits des Öfteren die Erfahrung gemacht haben, dass sowohl aufräumen, als auch Loslassen so wohltuend sein kann.

Angst vor dem Sterben, Angst vor dem Verlust von geliebten Menschen, Angst vor dem Loslassen – alles sind Ängste, die uns oft überwältigen und lähmen können. Sie sitzen, wenn ich nicht hinsehe wie ein gefährliches Raubtier in meinem Nacken. Es ist wichtig, sich diesen Ängsten zu stellen und Wege zu finden, um damit umzugehen. Nur so können wir inneren Frieden und Gelassenheit finden, wenn wir uns mit der Endlichkeit des Lebens auseinandersetzen.

Und wir haben nicht nur, wie oft behauptet, Angst vor dem körperlichen Schmerz, der uns evtl. erwartet, sondern auch vor den Emotionen, die uns überwältigen, wenn unser irdisches Ende naht.

Die 1959 geborene Literaturkritikerin Iris Radisch schrieb vor kurzem in der Zeit: „Anders als meine Großmutter fehlen mir Vorbilder und starke Erzählungen über das, was mir gerade passiert. Mir bleibt gar nichts anderes übrig, als mich auf die Suche nach meiner guten Geschichte für das Altwerden (und sterben Anmerk. Chris) zu machen.“

Wir müssen das Sterben in unser Leben lassen, um einen persönlichen Umgang mit dem Ende unseres Lebensbogens zu finden. Wir müssen darüber reden, uns auseinandersetzen, da sein so lange wir da sind.

 

Veränderung einladen

„Was uns nicht berührt, verwandelt uns nicht.“ (C.G. Jung)

Experiment:

Denke an etwas, dass dich auf positive Art und Weise verwandelt hat, zum Beispiel, als du entdeckt hast, dass du, obwohl du dachtest nie wieder lieben zu können, wieder geliebt hast und wie du dann gespürt hast, dass sich ein alter Teil deines Lebens, von dem Du dachtest , es wäre auf ewig mit Dir verbunden, verabschiedet hat und wie gut sich das angefühlt hat. Auf allen Ebenen deines Seins.

Oder wie du dachtest, du kannst etwas nicht und dann entdeckt hast, dass das ganz und gar nicht stimmt, dass du es sehr wohl kannst. Und dass es dir Freude bereitet das zu tun.

Und entdecke, wie es sich anfühlt diesen Teil der gedacht hat, es nicht zu können, gehen zu lassen und ohne ihn weiter hinter dir her zu ziehen. Eventuell findest du ganz ähnliche Erfahrungen in dir und du kannst ihnen einmal nachgehen, und die Verwandlung in dieser Erfahrung nachempfinden, und spüren, wie der alte Teil gehen darf und wie wohltuend es ist, den entstehenden Raum neu zu erkunden und dich davon berühren lassen.

Und dann, nach einer Weile, mache dir klar, dass diese Art von loslassen deine Art des Loslassens ist und stelle dir vor, wie es wäre auf diese Art und Weise noch mehr von dir gehen lassen zu können, wenn es an der Zeit ist.

Was wollen wir?

Und welche Ausrichtung ist hilfreich?

Sich mit dem Thema Sterben zu beschäftigen, bedeutet nicht, dass das Ziel ist, keine Angst mehr zu haben, sondern darum, dieses Thema in mein Leben zu integrieren und einen Umgang mit meinem eigenen leiblichen Ende und dem leiblichen Ende anderer zu finden.

Für mich hat das Thema Tod und Sterben etwas Verbindendes, da es uns alle betrifft – niemand ist ausgenommen. Deshalb möchte ich auch keine genauen Vorgaben machen, sondern eher Einladungen aussprechen, zu erforschen und den eigenen Weg zu finden.

Eins ist mir allerdings wichtig zu sagen: Ich glaube, dass es wichtig ist, Frieden mit sich selbst und der Welt zu schließen, um gut sterben zu können. Die innere Haltung, dir selbst und deinem Leben gegenüber, ist entscheidend.

 

Wie sieht deine innere Haltung aus?

Deine innere Haltung ist die von dir selbst gewählte und gepflegte Einstellung gegenüber dem Leben, dir selbst gegenüber, den Menschen, Umständen den Dingen gegenüber, denen Du begegnest. Deine innere Haltung kann unbewusst sein, geformt von Prägungen aus der Vergangenheit, von Moralvorstellungen, Regeln und dem „Normal“, welches du unwillkürlich in deinem Leben mitbekommen hast.

Und dann ist deine geprägte, unbewusste Haltung häufig etwas, was dein Handeln, dein Tun, und auch dein inneres Empfinden und deine Bewertungen die du triffst, stark beeinflusst.

Wenn Du beispielsweise eine unbewusste innere Haltung hast, die daraus gespeist ist, überzeugt zu sein, dass man nur etwas wert ist, wenn man etwas leistet, dann kann das dazu führen, dass du dich antreibst, auch wenn du erschöpft bist und es dir nicht gut geht, dass du andere Menschen bewertest, anhand dessen was sie leisten, dass Du neidisch bist, oder missgünstig, dass du dich klein und nichtig fühlst, wenn du nicht genug leistest und Andere einfach „faul“ sein dürfen, dass du Angst hast vor Strafen bei nicht genug Leistung und dergleichen mehr.

Also aus Überzeugungen können innere Haltung entstehen, die unbewusst unser Bewerten und Erleben steuern.

Eine innere Haltung bewusst zu wählen, bedeutet dir deiner Werte bewusst zu werden.

Dass du klar wirst, auf einer tiefen Ebene deines Bewusstseins, was für dich wirklich die Werte sind, auf die du dich ausrichten möchtest.

Z.B auf Wohlwollen, oder Respekt oder Liebe, als Werte die dich leiten können.

Aus deinen Werten, wird also deine innere Haltung gespeist und solange du sie nicht bewusst wählst, werden die unbewussten Werte und die gelernten Wertsysteme dein Verhalten steuern.

Ich möchte dich also einladen, dir bewusst zu werden, in welcher inneren Haltung du gerne dein Leben gestalten möchtest.

Vielleicht bist Du dir darüber auch schon sehr bewusst und wenn nicht, ist dies ein Prozess genau das von heute an herauszufinden.

 

Eine bewusste innere Haltung zu wählen, bedeutet, wie bereits gesagt, sich seiner Werte bewusst zu werden.

Welche Werte möchtest du wählen, um den Weg deiner eigenen Heilung zu gehen?

Welche Werte möchtest du wählen, um ihnen innerlich treu zu bleiben, um sie als Leitsterne für deinen Weg zu nehmen?

Welche Werte möchtest du bewusst wählen, um andere Menschen zu betrachten?

Welche Werte sollen dich darin unterstützen, morgens aufzustehen?

In welcher Energie möchtest du gerne aufstehen?

In welcher Energie möchtest du gerne schlafen gehen?

All das ist mit deinen Werten und deinem inneren Wertesystem verbunden. Deine innere Haltung gibt deinem Prozess einen Rahmen, der Sicherheit geben kann. Sei nicht so streng mit dir, sei freundlich zu deinen vermeintlichen Fehlern, nimm dich in den Arm und nimm den Faden wieder auf.

Wir profitieren von einer bewusst gewählten inneren Haltung, weil wir in unserer bewusst gewählten inneren Haltung einen Aspekt unseres Wesens nutzen, der viel mit unserer Unversehrtheit zu tun hat.

Und da ich überzeugt bin, dass ein gutes und sinnhaftes Leben mir den Blick auf meinen eigenen Tod erleichtert ist es zutiefst sinnhaft sich der eigenen Werte bewusst zu sein.

 

Wohlwollen

Wenn du dich beispielsweise bewusst entscheidest, Wohlwollen als einen Wert zu nutzen und eine wohlwollende innere Haltung zu entwickeln, tust du das nicht nur aus der Verletztheit heraus, die Wohlwollen braucht oder vermisst, sondern auch aus einem Bewusstsein heraus, das Wohlwollen erkennt als ein Heilungselexier und als die Basis eines heilsamen Kontakts mit dir selbst und der Welt, was dir in der Tiefe guttut.

Indem wir unser reifes, erwachsenes und heiles Ich stärken und kultivieren, tun wir uns sehr gut.

Wohlwollen ist für mich ein Wert, der mich stützt und hält und der viel mit liebevoller Zugewandtheit und einem Verzicht auf Wertung und Urteil zu tun hat. Wohlwollen ermöglicht es mir, Nähe herzustellen und mir selbst verbunden zu bleiben. Wohlwollen ist ein Geschenk für jede Beziehung, weil es Raum schafft, zu kommunizieren, ohne reaktiv zu werden. Wohlwollen lässt uns ein Gefühl von Sicherheit empfinden. Dieser Impuls hat es ziemlich in sich und endet bestimmt nicht mit dem heutigen Tag, sondern setzt einen Prozess in Gang, der, wenn du ihn verfolgen möchtest, dich für eine Weile beschäftigen wird und etwas von einer kleinen inneren Reise hat.

Vielleicht magst du es betrachten wie ein kleines Meisterwerk in deinem Leben, das immer wieder Aufmerksamkeit möchte und immer wieder betrachtet werden will, sodass es sich verfeinern und immer deutlicher werden darf und immer kohärenter wird mit deiner wahren Natur und dem, was du bist, jenseits deiner Prägungen, deiner Ängste und deiner Glaubenssysteme oder was auch immer. So kann etabliertes Wohlwollen ein exzellenter Lehrer und Wegbegleiter für ein Leben in Sicherheit mit mir selbst sein und damit ein guter Gefährte, wenn meine Zeit zu gehen gekommen ist.

 

Lebendig sein

„Was ich nicht weiß, erhält mich.“ – Laura Imai Messina

Es ist letztendlich die Neugierde, die uns lebendig macht, das Nichtwissen darüber, was kommt. Und damit meine ich nicht ein Anhaften an den Dingen, die ich noch erledigen und leisten möchte, sondern eine freudvolle Neugier und ein liebevolles Erforschen dessen, was auf mich zukommt.

Das mag in manchen Situationen meines Lebens schwierig, ja manchmal kaum vorstellbar sein, aber Neugier ist der Begleiter im Leben, der mich die Fülle des Seins immer wieder in den Blick nehmen lässt.

In der Auseinandersetzung mit dem Tod geht es mir, wie bereits gesagt, nicht darum, alle Ängste und Sorgen zu beseitigen oder zu vermeiden, nicht mehr in tiefe Trauer zu verfallen, wenn ein lieber Mensch aus meinem engsten Kreis stirbt.

Meine Hoffnung ist viel mehr, dass die Auseinandersetzung mit dem Thema mir hilft, all diese tiefen Gefühle zu bewältigen und nicht in dem Maße ihnen ausgeliefert zu sein, dass ich mein eigenes Leben und mein eigenes lebendig sein nicht mehr will.

Unsere Angst vor dem Sterben hat viel damit zu tun, woran ich mich in diesem Leben binde. Sie wird größer, wenn ich mich an Dinge, Umstände und Menschen binde, zu denen keine echte Bindung besteht, und sie wird kleiner, wenn ich verbunden bin mit mir selbst, mit dem, was in mir lebt, und mit Menschen, die mich erkennen, achten und lieben.

 

Lasst uns einmal einen Blick auf die Angst werfen.

Angst ist ein sogenanntes primäres Gefühl.

In der emotionsfokussierten Psychotherapie unterscheiden wir primäre, sekundäre und instrumentale Emotionen.

Primäre Gefühle sind die unverfälschten Gefühle, die eine wichtige emotionale Information über uns selbst geben. Sie sind nicht überformt durch Sozialisation, Prägung oder Anpassung. Sie sind ein klarer Ausdruck unseres Inneren.

Ein Säugling ist schon sehr früh, ohne dass er das erlernen muss, in der Lage, diese Emotionen auszudrücken. Primäre Gefühle besitzen eine Klarheit, und es tut in der Regel so gut, diese Klarheit zum Ausdruck zu bringen.

Sie zeigen aber auch eine Verletzlichkeit, da sie unsere innerste Gefühlswelt offenbaren.

Oft sind sie die Basis, auf der sich, wenn sie nicht wahrgenommen werden, oder nicht sein dürfen (wie z.B. Wut) andere sekundäre Gefühle (wie z.B. Sorge, Jähzorn, Ablehnung) entwickeln.

Primäre Gefühle auszudrücken ist ein großes Bindungsangebot an unser Gegenüber. Sie leiten uns an und geben uns einen Handlungsimpuls. Wenn wir uns trauen, unsere primären Emotionen zu erkennen und gegebenenfalls sie auszudrücken, sind sie ein wesentlicher Bestandteil, um authentisch zu sein.

Wende ich mich wieder der Angst zu.

Angst ist ein wirklich existenzielles Gefühl, ein Gefühl, das wir lieber vermeiden oder verdrängen möchten. Ein Gefühl, das die Unsicherheit auf den Plan ruft und viel mit Bedrohung zu tun hat. Doch die bewusste Auseinandersetzung mit dem Gefühl und dem Gegenstand, welches dieses Gefühl hervorruft, bringt mich in der Regel näher zu mir. Im Grunde hat Angst die Aufgabe, das Leben zu schützen.

Kurt Goldstein hebt hervor, dass wir Angst nicht „haben“, sondern „sind“. Er beschreibt Angst als den subjektive Zustand des Individuums, das sich bewusst wird, dass es sich selbst und seine Welt verlieren kann, dass es „nichts“ werden kann.

Martin Heidegger: In der Angst bekundet sich das Sein als solches. Sie reißt den Menschen aus seiner Eingenommenheit durch das Seiende und macht ihm klar, dass er einsam und heimatlos ist. Auch für Heidegger ist Angst das Grundphänomen menschlicher Existenz, Ausdruck der radikalen Vereinzelung.

Eigentlich sagen wir, dass Angst ein Gefühl ist, dass wir haben. Doch es fühlt sich, wie schon Goldstein sagt, eher an wie ein Seinszustand.

Alle großen Gefühle, wie die Angst oder Liebe oder Wut, fühlen sich eher an wie Seinszustände als wie ein Gefühl, dass man hat.

Einer der Gründe hierfür ist, dass diese großen Gefühle in der Lage sind, uns komplett auszufüllen, uns zu überschwemmen, nicht nur unsere Emotionen, sondern auch den Körper und die Gedanken, so dass ich Gefahr laufe, den Kontakt zu mir zu verlieren.

Deswegen fällt es so schwer, sich von ihnen zu distanzieren und den inneren Beobachter zu aktivieren, um einen Blick aus der Metaebene auf dieses Gefühl werfen zu können.

Wenn wir Angst haben, wird alles von diesem Gefühl bestimmt, unsere Wahrnehmung von uns selbst, von den anderen und von der Welt. Und deswegen brauchen wir, wenn wir Angst haben, so sehr den anderen. Ein Gegenüber, das Halt bietet und uns hilft, uns zu regulieren.

In dem Zustand der Angst zeigt sich unser elementares Bedürfnis nach Bindung. Kommt jetzt zu der Angst auch noch die Angst vor dem Tod hinzu, berühren sich zwei Aspekte, die wir in unserem Leben zu vermeiden versuchen.

Wenn diese Aspekte uns vor Augen stehen, fühlen wir oft uns oft ohnmächtig und hilflos.

Doch was passiert, wenn ich nicht wegschaue, sondern hinsehe?

Vielleicht mit einer liebevollen Unterstützung?

Vielleicht nicht alleine?

Eventuell ist es dann möglich, zu sehen, dass mich weder die Angst, noch der Gedanke an den Tod total verschlingt, sondern ich immer noch da bin und immer noch ich bin.

Und ich evtl. weit mehr über mich und meinen Wert und meine Werte erfahre.

Angst ist ein großer Motivator und ein bedeutendes Hindernis. Solange es sich so anfühlt, als könnte ich die Angst kontrollieren, indem ich etwas tue, ist Angst eine starke Motivation in Bewegung zu kommen und ein riesiger Antreiber.

Ist die Angst jedoch so groß, dass ich das Gefühl habe, nichts mehr tun zu können und ausgeliefert zu sein, wird sie zu einem gewaltigen Verhinderer, der nur noch Tatenlosigkeit und Ohnmacht hinterlässt.

Wenn wir Traumata überleben, also Situationen, die uns in unserer Essenz erschüttern, die zutiefst beängstigend waren, dann tun wir das nur, weil wir eine Kraft in uns haben und eine Resilienz tragen, die größer ist als diese Erfahrung und größer als das, was uns diese Erfahrung suggerieren will und uns einstempeln möchte. Deshalb hast du immer wieder die Kraft, dich dir zuzuwenden, deinen Weg weiterzugehen und dich von Rückschlägen nicht entmutigen zu lassen, um dir dein Leben nicht von der Angst aus den Händen nehmen zu lassen, sondern selbstbestimmt in die Hand zu nehmen.

 

Abschließende Betrachtung

Für mich ist, in meiner momentanen Sicht, der Tod das Ende meines leiblichen Körpers, ein Verlassen meiner Liebsten und dieser materiellen Welt und das der Schmerz, den ich empfinde, diesem Verlust geschuldet ist.

Gleichzeitig glaube ich, dass mein Bewusstsein, oder meine Seele, oder mein höheres Selbst, (wie auch immer das passende Wort ist), welches sowieso immer in Verbindung mit allem steht, weiter fortbesteht und zurückfließt (und diese Vorstellung gefällt mir als Wasserfrau besonders) in den Strom allen Seins.

In dieser Sicht der Dinge, gibt es auf der Ebene meines Seins nichts zu verlieren. Diese Sicht macht es mir möglich mehr meinen Blick dem zuzuwenden, was in meinem Leben Bedeutung hat. Das sind meine Werte, meine innere Haltung, die Bedeutung der Liebe als universelle Kraft und das Miteinander.