Entspannt Nein sagen- Wie gesunde Abgrenzung gelingen kann

Eine kleineUrsachenforschung:

Kurz, vorab noch ein Hinweis: Wenn Du merkst, der Inhalt wird Dir zu viel, oder etwas von dem, was ich schreibe, triggert in Dir alte Verletzungen, so erlaube Dir, gut für Dich zu sorgen. Solltest Du sehr berührt sein, dann steh auf, trink etwas oder nimm Kontakt zu jemanden auf. Erlaube dir einfach eine Verschnaufpause, achte auf deinen Atem und dann lese weiter, wenn es für Dich passt.

Ich werde jetzt im Folgenden versuchen zu erläutern, warum es so schwierig sein kann, dass gesunde Grenzen gelingen.

Mein Beitrag ist natürlich getragen aus meiner Sicht als Trauma-Therapeutin und ich versuche, auf hoffentlich verständliche Art und Weise, die Hintergründe zu diesem Thema zu erläutern. Natürlich könnte ich noch weit mehr zu Thema gesundes abgrenzen sagen, oder es wäre möglich, den Blickwinkel komplett zu verändern, doch ich hoffe, ich kann Dir heute einen kleinen, feinen Einstieg in dieses komplexe Thema anbieten. Ich möchte Dich einladen, Fragen zu stellen, Erfahrungen zu teilen und in einen lebendigen Austausch einzutreten.

Viel Freude und Erkenntnis beim Lesen.

Zunächst eine kleine Zusammenfassung: Wofür braucht es gelingende Abgrenzung?

Gesunde Grenzen:

*gestalten gelingende Beziehungen.

*stärken die Gesundheit.

*bilden unseren Selbstwert.

*sind Ausdruck unserer Würde.

*bringen Klarheit.

 

Symptome für nicht gelingende Abgrenzung sind evtl.:

* Es fällt schwer, nein zu sagen, weil es Stress erzeugt.

* Angst vor der Reaktion anderer.

* Man würde gerne anders handeln und fühlen, aber es gelingt nicht.

* Für sich selbst einzustehen und Grenzen zu setzen ist mit Ängsten verbunden.

*Mein Selbstbild ist sehr hilfsbereit und ein Nein hat da keinen Platz

* Evtl. kennst du auch noch andere Symptome.

 

Wieso fällt Nein-Sagen besonders Menschen in helfenden Berufen oder in helfenden Tätigkeiten besonders schwer?
In der Regel fühlen sich besonders feinfühlige und empathische Menschen zu helfenden Tätigkeiten hingezogen. Sie sehen und spüren das Leid anderer besonders deutlich und fühlen in sich einen drängenden Impuls zu helfen. Das ist eine besonders schöne Qualität, die uns als Menschen, als soziale Wesen auszeichnet. Doch oft ist es so, dass gerade Menschen in helfenden Berufen nicht gelernt haben, dass es vollkommen in Ordnung ist, sich um sich selbst zu kümmern, Selbstfürsorge zu betreiben, sich an die erste Stelle zu setzen und gegebenenfalls zu einer Anfrage auch Nein zu sagen. (Was regt sich in Dir bei diesen letzten Worten, welche Gefühle, Gedanken, Reaktionen melden sich?)


Gerade Menschen, die helfend tätig sind (und das ist ein weites Feld), haben oft eher den Anderen im Blick, als sich selbst. Die Folge davon ist nicht selten, dass sie sich übergehen und auf Dauer ausbrennen. Sie haben kein sicheres Gefühl dafür, ab wann es völlig in Ordnung ist, sich um sich selbst zu kümmern. Sie gehen daher lieber über die eigenen Grenzen, als jemanden vermeintlich zu enttäuschen. Und es ist wahrscheinlich klar, dass ich hier nicht von gewaltvoller oder verachtender Ablehnung oder Ausgrenzung spreche, sondern von der Einhaltung gesunder Grenzen, was wirklich schwierig sein kann.

Ich kann nicht über Abgrenzung sprechen, ohne gleichzeitig über Bindung zu reden. Das erscheint erstmal widersprüchlich, doch möchte ich hier versuchen zu erklären, warum das Eine und das Andere zwingend zusammengehören und wieso das Eine ohne das Andere nicht gelingt.

Was bezeichnen wir in diesem Zusammenhang als Bindung?

Bindung ist die emotionale Verbundenheit von Eltern oder anderen engen Bezugspersonen und ihrem Kind.

Wer ich bin, wo ich anfange, wo ich aufhöre, lerne ich schon in meinen ersten Lebensjahren. Wer ich bin, lerne ich in der Regel über die Spiegelung meiner Selbst durch die Bezugspersonen, die mich umgeben. Die Art und Weise, wie meine engsten Bezugspersonen auf mich reagieren, kreiert mein Bild von mir. Werde ich liebevoll wahrgenommen, ist das Bild, das ich von mir entwickle freundlich. Sind meine Eltern aber immer wieder genervt, oder überfordert im Umgang mit mir, wird mein Selbstbild nicht so wohlwollend ausfallen und evtl. entwickelt sich in mir die Vorstellung, dass mit mir etwas nicht stimmt. (verständlich?)

Zwischen dem zweiten und dritten Lebensjahr entwickelt sich ein Gefühl von ich und du. Es entwickelt sich ein Mein und Dein, und besonders wichtig, es entwickelt sich ein Gefühl für den eigenen Körper, für eigene Grenzen, dafür was ich mag und was nicht. Gegen Ende des zweiten Lebensjahres ist die Entwicklung unserer Spiegelneuronen abgeschlossen und in Folge kann sich die Empathie entwickeln, sprich ein bewusstes Einfühlen in den anderen Menschen.

In der Zeit davor spricht man in der Entwicklungspsychologie nicht von Empathie, sondern von „Gefühlsansteckung“. Man könnte auch von Resonanz sprechen. Aber dazu später mehr. In dieser Zeit erlebt das Kind die Gefühle seiner Bezugspersonen als ob es die eigenen wären. Erst, wenn ein Kind etwa drei Jahre alt ist, kann es unterscheiden, „dies ist mein Gefühl, und es ist eventuell anders, als das meines Gegenübers“. Wenn ein Kind in einem wohlwollenden Zuhause aufwächst, welches zugleich Raum lässt und die Bezugspersonen liebevoll und aufmerksam mit dem Kind umgehen, stehen die Chancen sehr gut, dass Abgrenzung gelingen kann. Sowohl Verbindung als auch Autonomie können gelebt werden, so dass sowohl Nähe als auch das Erforschen ohne Angst möglich ist.

Ist jedoch dieses Verhältnis aus irgendeinem Grunde belastet, fällt es schwer, ein entspanntes, klares und wohlwollendes Bild für sich selbst zu entwickeln, von seinen Grenzen und der Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen. Belastungen, die sich auf die Entwicklung eines gesunden Ich-Gefühls auswirken, sind all die Belastungen, die die Beziehung zur Bindungsperson betreffen.Wichtig ist zu verstehen, dass das Ich-Gefühl eine Voraussetzung für gelingende Grenzen ist. Das bedeutet auch, dass die Beziehung zu den engen Bezugspersonen in den frühen Jahren eines Lebens prägend sind für ein Gefühl von Ich, Identität oder Selbst.

Ein Kind sucht Sicherheit und Geborgenheit immer erstmal bei seinen engsten Bezugspersonen. Wie gesagt, lernt das Kind aus der Art und Weise, wie auf es reagiert wird, wer es selbst ist. Ein Kind richtet also all seine Antennen auf seine Bezugsperson aus, um herauszufinden, wie es in Kontakt treten kann oder wie es reagieren muss, damit Bindung hergestellt wird.

Wenn mögliche Belastungen eine gewisse Schwere erreicht haben, prägen sie unser Gefühl für uns selbst, genauer gesagt, unser Gefühl für unseren Selbstwert und damit natürlich auch auf die Entwicklung stabiler Grenzen. (Wenn ein Kind erlebt hat, das sein Nein nicht akzeptiert wird, entwickelt es nur schwer ein Gefühl der Selbstwirksamkeit, es wird scher den Nutzen klarer Grenzen verstehen)

Diese frühen Erfahrungen oder Prägungen, haben einen Einfluss darauf, wie wir in Beziehung gehen. Nicht nur in der Paarbeziehung, sondern diese Prägungen gestalten generell unsere Muster, wie wir uns in der Welt zeigen und wie wir in Kontakt treten. (Es ist eventuell gut vorstellbar, dass ein Kind, das mit einer aufbrausenden oder nicht verlässlichen Bezugsperson aufwuchs, sich immer stark nach außen, sprich an oder hin zu seiner Bezugsperson orientieren musste. Es entwickelte sich, um die Bindung nicht zu gefährden, zu einem hochsensiblen und empfindsamen Menschen, der die Grenzen anderer Menschen sehr gut wahrnehmen kann, aber die eigenen Grenzen kaum spürt.
Oder ein Kind lernt, dass, egal was es tut, egal wie es ist, nicht gesehen wird. Dieses Kind wird tiefe Beziehungen eventuell vermeiden und eventuell auch sehr rigide (starr und eng) werden, in dem was es zulassen kann bei Begegnungen.)

Doch Vermeidung ist nicht gleichbedeutend mit Autonomie oder dem Wahren seiner Grenzen, sondern eventuell ein verzweifelter Versuch sich selbst zu halten, da ein Halt im Außen fehlt.

Sicherheit ist die Voraussetzung für gelingende Abgrenzung

Um das Nervensystem zu regulieren und zur Ruhe zu kommen, ist Sicherheit eine Grundvoraussetzung. Sicherheit und Co-Regulation. Sicherheit stellen wir in erster Linie über Co-Regulation her, das heißt über die Bindung an eine andere Person. Ich mag diesen Begriff etwas genauer erklären.

Wenn ein Kind geboren wird, ist es noch nicht in der Lage, sein Nervensystem zu balancieren. Das bedeutet kurz gesagt, sich selbst zu beruhigen. Es braucht dafür eine Bezugsperson, die in der Lage ist, sich in angemessener Art und Weise um das kleine Wesen zu kümmern, seine Bedürfnisse zu erkennen und auf sie einzugehen. Jemand, der im Kontakt emotional erreichbar ist, ohne Erwartungsdruck und mit Achtsamkeit.

Es braucht sichere Erwachsene, um sich sicher zu fühlen.  Es braucht liebevolle Zugewandtheit. Wenn dies alles fehlt, lernen wir nicht, uns entsprechend zu regulieren und wir lernen nicht, wo unsere gesunden Grenzen sind.

Oder das es erlaubt und sogar wünschenswert ist, dass wir wundervoll und einzigartig anders sind. Wir lernen evtl. nicht, dass es in Ordnung ist, neugierig zu sein und Fehler zu machen.

Wenn diese liebevolle Zugewandtheit während unserer Kindheit nicht existiert hat, wird dieses Kind all seine Wahrnehmung darauf ausrichten, was es tun muss, um Nähe von seinen Bezugspersonen zu erfahren, beziehungsweise, was es tun muss, um in der Nähe der Anderer zu überleben.
Es muss also all seine Antennen auf die Bezugspersonen ausrichten und rückt somit ein Stück weit in seiner Wahrnehmung von sich selbst ab. Das Kind muss somit einen Großteil seiner Lebensenergie dafür aufwenden, im Außen zu sein, in einer Bewegung von sich weg, um Verantwortung zu tragen, für eine Beziehung, die so nicht wohltuend und unterstützend ist.

Sichere Bindung und damit auch Co-Regulation kann ich anbieten, wenn ich auch in mir selbst sicher gebunden bin. Wenn ich weiß, wer ich bin, wenn ich weiß, wo meine Grenzen sind. Und, wenn ich mich traue, mich selbst auf diese Art und Weise kennenzulernen, dann besteht eine gute Chance, dass ich für mein Gegenüber eine sichere Bindung anbieten kann, ohne mich selbst dabei zu verlieren. Somit hat Abgrenzung nichts Trennendes, sondern etwas überaus Verbindendes.

Berührung, ob nun über einen freundlichen Blick oder einen liebevollen Gedanken, oder vielleicht sogar über die Haut, findet immer entlang einer Grenze statt. Und wenn diese achtsame Grenzberührung gelingt, gestalten sich unsere Grenzen flexibel und wir sind in der Lage zu wachsen, uns zu verändern und Anderen auf Augenhöhe zu begegnen. Wenn Grenzen gewahrt werden, gibt das Sicherheit.
Die Bedeutung von innerer Sicherheit ist immens, wenn ich mit mir und anderen in Kontakt sein möchte. Je sicherer ich mich fühle, desto intensiver wird der Kontakt und desto geborgener kann ich mich fühlen. Doch was ist, wenn ich mich ständig unsicher fühle und ich ständig auf meine Sicherheit achten muss? Dann ist soziale Interaktion extrem erschwert. Was trägt dazu bei, dass ich mich in der Gegenwart Anderer geborgen fühle oder dass Andere sich in meiner Gegenwart sicher fühlen?

Was bedeutet also jetzt Abgrenzung in unserer Sichtweise?

Abgrenzung bedeutet, bei sich sein zu können und gleichzeitig in Verbindung mit Anderen. Das mag vielleicht paradox klingen oder vielleicht verstehst du es auch direkt. Für mich bedeutet Abgrenzung, dass ich erst einmal mit mir in Kontakt sein muss, um überhaupt zu spüren, wo meine Grenzen sind. Dies ist für mich der Kern der Abgrenzung.

Für einen Menschen, der so aufgewachsen ist, das Verbindung bedeutet immer mit der Aufmerksamkeit beim Anderen zu sein und sich selbst aufzugeben, für diesen Menschen ist leicht vorstellbar, dass dies ein Kontakt ist, in der die Person selber gar nicht vorkommt bzw. sich nur ungenügend spürt und damit auch ihre Grenzen kaum wahrnehmen kann.

Andererseits ist es durchaus möglich, dass dieser Mensch nach vielen Suchbewegungen frustriert ist und sich entscheidet, gar nicht mehr zu suchen. Sich entscheidet, dass er/sie alleine besser dran ist.

Ein Modell kann auch sein, mit dem Gegenüber zu verschmelzen, sowohl auf emotionaler als auch auf körperlicher Ebene. Allerdings eine Verschmelzung zu dem Preis, dass ich aufgebe zu wissen, wer ich bin. Dies bedarf einer unglaublichen Anstrengung, weil sie nie meinen innersten Kern berührt hat. Verschmelzung ist nur dann etwas Sinnvolles und Angenehmes, wenn ich zu mir selbst zurückkehren kann. Gibt es diesen Ort der Identität nicht, kann ich auch nicht wissen, wo meine Grenzen sind und ich erkenne auch nicht die Grenzen meines Gegenüber.

Wenn also klar ist, dass Verbundenheit mit sich selber der Kernpunkt einer gesunden Abgrenzung ist, könnte ich ja sagen, prima, lasst es uns tun.

Doch für viele Menschen mit Verletzungen auf der Bindungsebene, ist die Verbundenheit zu sich selbst etwas, was sich oft ungut und manchmal sogar gefährlich anfühlt. In der Verbundenheit mit sich selbst kommen ungute Gefühle, und ungute Erinnerungen, Schmerz und Ablehnung hoch. Es fühlt sich so an, als ob die Bedrohung in mir selbst wohnen würde.

Wirkt die Empfindung, sich mir zuzuwenden, bedrohlich, ist es verständlich, dass ich z.B. Kontaktpersonen wähle, die vermeintlich sicher wirken und die ich dann für meine Sicherheit verantwortlich mache und ich so meine eigene Verantwortung auf andere übertrage.Oder die Bewegung geht in eine andere Richtung und ich kann mir nicht vorstellen, wenn es in mir schon so bedrohlich ist, dass es Sicherheit im Außen überhaupt gibt.Oder ich wache eifersüchtig und kontrollierend über meinen Partner, weil es mir schwerfällt, zu vertrauen. Die Welt und damit die Menschen, die auf ihr leben, werden zu einem gefährlichen Ort.

Resonanz und Empathie

Um ein klares Bild von unserer Möglichkeit, uns abzugrenzen, zu entwerfen, möchte ich auf zwei weitere Begriffe eingehen. Empathie und Resonanz. Habt Ihr eine Idee, was diese beiden Wörter bedeuten und worin sie sich unterscheiden?
Empathie ist die Fähigkeit mitzufühlen, sowohl beim Anderen als auch bei sich selbst. Empathie bedeutet so etwas wie Einfühlungsvermögen und sich einfühlen, kann nur jemand, der auch innerlich anwesend und mit sich verbunden ist und quasi einen Resonanzraum bietet für das, was in Sich und im Anderen passiert. Empathie mit sich selbst ist eine hohe Qualität in der Achtsamkeit, Empathie mit sich selbst bedeutet die eigenen Grenzen wahrzunehmen, sich für sie einzusetzen, und sie sichtbar zu machen. Empathie ist die Qualität, den anderen in seiner ganzen Tiefe wahrzunehmen, ohne sich selbst zu verlassen und ohne die eigenen Grenzen zu verletzen. Empathisch zu sein bedeutet nicht unbedingt direkt Lösungen anbieten zu können, sondern im Kontakt anwesend zu sein und mitzuschwingen.
Kommen wir zu dem Begriff der Resonanz. Resonanz bedeutet in diesem Zusammenhang mit meiner ganzen Persönlichkeit mitzuschwingen. Ein gutes Beispiel ist hierfür das Mitleid. Das bedeutet, dass ich mit einem anderen Menschen, dem es aus irgendeinem Grund nicht gut geht, mitleide und so im gleichen Gefühl mitschwinge, ohne mich abgrenzen zu können. Oft bemerken wir, dass wir in Resonanz gehen dadurch, dass ein Kontakt anstrengend wird, weil ich mich selbst verlasse und mit meinem gesamten Gefühl beim Anderen bin.

Es entsteht unter Umständen ein sehr intensiver Kontakt, in dem ich selbst aber gar nicht wirklich vorkomme, ich keine Wahrnehmung für mich habe, weil die gesamte Aufmerksamkeit beim Anderen ist. So verschwimmen Grenzen, denn es wird nicht deutlich, wo ich bin und wer ich bin. Resonanz kann etwas ganz Wohltuendes sein, in guten und nährenden Beziehungen. Resonanz hat viel mit Hingabe zu tun.

Problematisch wird es, wenn ich so sehr in Resonanz gehe, so sehr ins Mitleid, dass mein eigenes System extrem unter Stress gerät und ich kaum noch in der Lage bin hilfreich bei mir oder bei dem Anderen zu sein.
Eventuell ist jetzt schon deutlich geworden, dass es ganz günstig ist, diese beiden Fähigkeiten voneinander zu unterscheiden und bewusst zu wählen.

Die Frage ist, wie kann das gelingen, empathisch zu sein und doch gut bei mir zu bleiben?

 

Was hilft?

 

Vielleicht findest Du dich in dem was hier beschrieben wurde wieder?

Dann mag ich Dir jetzt ein paar Ideen an die Hand geben, wie Abgrenzung möglich wird und immer besser gelingt.

Unterstützend hierfür kann sein, dass ich so etwas wie einen wohlwollenden Beobachter installiere.

Ein Beobachter, der nicht wertet und nicht urteilt, sondern sich darin übt, wahrzunehmen und präsent zu sein, ohne direkt einen Handlungsauftrag zu erteilen. Ein Beobachter, der in der Lage ist, das Geschehen, meine Gefühle und meine Gedanken aus einer gewissen Distanz zu betrachten.

Hierbei wird schon deutlich, dass ich einen inneren Beobachter meine, mit dem es gelingt, mich und meine Impulse immer besser wahrzunehmen. Ein innerer Beobachter, der mich gut kennt, ist wohlwollend und achtet meine Grenzen.

Dies ist unter Umständen ein langer Übungsweg, doch er lohnt sich. Es lohnt sich, sich und seine Grenzen immer besser zu achten, um nicht über seine Kräfte zu gehen, sondern in der eigenen Kraft zu bleiben. Damit nicht unbewusste Gedanken, Gefühle, Glaubenssätze oder Muster aktiv sind, die mein Handeln bestimmen, sondern es mir immer mehr gelingt, mich und mein Handeln zu reflektieren.
Dafür ist es sinnvoll, sich selbst kennenzulernen, damit die unbewussten Prozesse der Resonanz eventuell in bewusste Prozesse der Empathie und Abgrenzung münden.

Die Abgrenzung anderer wahrnehmen.

Was ist, wenn die Abgrenzung Anderer kaum vorhanden, kaum wahrnehmbar oder im Gegenteil, sehr rigide ist? Der Hintergrund kann sein, wenn jemand nie seine Grenzen zeigt, dass er oder sie entweder nicht gelernt hat sich abzugrenzen oder Abgrenzung immer zu Strafe oder Ausgrenzung geführt hat. Sehr rigide Grenzen können entstehen, wenn jemand die Erfahrung gemacht hat, dass es besser ist alles alleine zu machen und dass Hilfe von anderen sowieso nicht wirkt. Es ist wichtig das zu verstehen, um auf diese Art von Abgrenzung adäquat reagieren zu können.

Das bedeutet nicht, dass du dir grenzüberschreitendes Verhalten anderer Menschen gefallen lassen und damit über Deine eigenen Grenzen gehen sollst, sondern dass ein Verstehen zu einer besseren Begegnung führt. Verständnis für den Anderen zu haben, versetzt dich evtl. in die Lage, nicht jedes gezeigte Verhalten persönlich zu nehmen und so nicht mit persönlicher Kränkung zu reagieren, sondern das gezeigte Verhalten beim Anderen zuzulassen und gut bei dir zu sein.

Ein Geheimnis der gelingenden Abgrenzung ist es, präsent zu sein, also gut bei sich zu sein und gut bei dem Anderen. Das bedeutet, dass ich mich in einer Beziehung mit anderen Menschen nicht verliere, sondern in der Lage bin, mich selbst wahrzunehmen und meine Wahrnehmung ernst und wichtig zu nehmen. Es bedeutet auch, mich selbst und auch den Anderen innerhalb einer Beziehung ernst zu nehmen. Unser natürlicher Bindungswunsch und unser natürlicher Autonomiewunsch sind dann in Balance. Dies lässt sich dann vereinen, wenn ich in mir und im Kontakt sicher bin.

 

Wie spüre ich nun allerdings, dass ich mit mir selbst gut in Kontakt bin?

Wenn ich mit mir gut in Kontakt bin, nehme ich meine Bedürfnisse und Impulse wahr, kann sie formulieren und kann sie auch Anderen gegenüber äußern.

Ein weiterer bereits angedeuteter Punkt ist, dass Du dich innerhalb von Beziehungen ernst und wichtig nimmst. Dass Du dir den gleichen Wert zugestehst, wie deinem Gegenüber.
Es ist wichtig, dass du dir erlaubst, sichtbar zu sein, wahrnehmbar für Andere mit deiner eigenen Meinung und deinen eigenen Emotionen. Und dass du dir selbst diese Emotionen und Meinung gestattest, auch wenn sie kontrovers zu den Emotionen und Meinungen deines Gegenübers sind. Erst wenn du sichtbar bist mit deinen Bedürfnissen, Emotionen, Impulsen, dann erkennt dein Gegenüber auch deine Grenzen. Solange du nicht sichtbar bist, ist dies für dein Gegenüber schwierig.

Ein weiterer Aspekt, der zeigt, ob du gut mit dir in Verbindung bist, ist, ob Du in der Lage bist einem anderen Menschen zu vertrauen. Selbst wenn Du in deinen Beziehungsmustern z. B. dazu neigst, zu verschmelzen, ist in der Regel nicht Vertrauen die Grundlage der Beziehung, sondern die Angst, den anderen zu verlieren, oder zurückgewiesen zu werden.Jemand, der immer wieder verschmelzen muss, um Bindung zu spüren, macht immer wieder eine Bewegung hin zu dem anderen, weil er nicht vertrauen kann, dass die Bewegung auch von der anderen Seite ausgeht.

Also, was es besonders braucht, ist die Möglichkeit, mit dir selbst gut in Kontakt zu sein und damit gute Erfahrungen zu machen. Alles was die Selbstregulation (siehe den vorherigen Blogbeitrag) unterstützt, ist hilfreich um den Kontakt zu sich selbst zu stärken.

Hilfreich kann sein, dass du dir erlaubst einmal zu spüren, welche Reaktionen in dir auftauchen, wenn du dich abgrenzen möchtest.

Welche Gefühle tauchen auf?

Ängste? Oder was taucht auf?

Die Angst vor Ablehnung, vor Verurteilung, vor Bestrafung, vor Einsamkeit, vor Beschämung? Erlaube Dir zu forschen.

Was befürchtest du, wenn du dich abgrenzt?

Welche alten Verletzungen werden sichtbar?

Und weitergehend kannst du dich einmal fragen, was brauchst Du, um dich abgrenzen zu dürfen?

Wende dich diesem Anteil, dem Grenzen setzen schwerfällt zu und frage dich, was kannst du dir geben, um nicht mehr so ängstlich, so schüchtern, so unterwürfig, so frustriert zu sein oder auch aufbrausend, abweisend und in den Rückzug gehend?

Was braucht es, um dich sicherer zu fühlen und dich zu entspannen und um in der Entspannung herauszufinden, was Du willst.

Um gelingende Nähe und damit auch gelingende Abgrenzung leben zu können, ist es erforderlich, sich den eigenen Verletzungen zu stellen und herauszufinden, welche Balance von Nähe und Distanz für einen stimmig ist. Herauszufinden, warum ich, um mich sicher zu fühlen, mit dem Anderen verschmelzen möchte oder wenn ich sehr kontrollierend bin, den anderen am liebsten ständig an meiner Seite haben möchte. Oder andersherum, Nähe gar nicht zulassen kann, weil ich Angst davor habe, überrannt zu werden oder überfordert bin. Oder, weil ich Nähe ambivalent gegenüberstehe und sowohl eine große Sehnsucht spüre als auch Ängste, die z.B. damit zu tun haben, dass ich in Beziehungen sowieso nicht gesehen werde.

Eine weitergehende wichtige Frage ist, wieso brauche ich Distanz in Beziehung? Wieso ist es nicht erstrebenswert, beständig in der Nähe des anderen zu sein? Eine Antwort darauf lautet, dass es wesentlich ist, dass wir unsere eigenen Räume betreten können, in dem wir uns unseren eigenen Belangen zuwenden dürfen, unabhängig von unserem Partner.

Evtl. kannst Du eine Beziehung ebenfalls als Raum zu sehen, in dem sich zwei Menschen begegnen, mit eigenen Geschichten und ihren eigenen Befindlichkeiten. Ein Raum, in dem wir aufeinander zugehen und Nähe kreieren. Und trotzdem gibt es Räume in dir, die es wert sind, immer wieder auch alleine besucht zu werden, damit sie sich entwickeln können.
Räume, in denen Anteile deiner Persönlichkeit sicher und geborgen sind. In dem es möglich ist, dass du dir selbst begegnest, dich wahrnimmst und dich versorgst.

Für meinem Empfinden ist es existenziell wichtig, beide Räume zu pflegen und ein Gespür dafür zu haben, in welchem Raum ich mich aufhalte. Manchmal ist es so, dass sich der ein oder andere Raum aus den unterschiedlichsten Gründen bedrohlich anfühlt. Und dann ist es gut, bewusst wechseln zu können, bewusst den ein oder anderen Raum zu betreten oder zu verlassen, ohne gleich die Beziehung zu riskieren. Der eigene, innere Raum ist wesentlich, um eine gelingende Balance zwischen Nähe und Distanz zu entwickeln.

 Ein wichtiger Prozess für gelingende Abgrenzung nennt sich in der Psychotherapie Embodyment. Was ist damit gemeint?

Auf Deutsch übersetzt heißt Embodyment Verkörperung. Das heißt, um mich wirklich gut wahrnehmen zu können brauche ich meinen Körper als Referenz, als Antwort, als Signalgeber. Mein Körper zeigt mir in der Regel recht deutlich, ob ich entspannt, angespannt, überfordert, oder gestresst bin. Wenn ich mir erlaube im Kontakt mit anderen Menschen wahrzunehmen, wie es meinem Körper gerade geht, habe ich ein sicheres Indiz dafür, wie unsere Beziehung gerade aussieht. Und wenn ich dann weitergehend weiß, wie ich dafür sorgen kann, dass es mir und meinem Körper gut geht, bin ich mit meinem ganzen Wesen anwesend. Wenn ich mir meiner eigenen Grenzen sicher bin, kann ich mich Begegnungen öffnen.
Ein Verstehen davon, was in mir passiert, ermöglicht es mir, der Mensch zu sein, der ich eigentlich bin.

Vielleicht wird jetzt klar, warum der Körper eine so immens wichtige Rolle spielt, wenn es darum geht, in Beziehung zu sein. Ich brauche eine Wahrnehmung für mich und meine Zustände, um spüren zu können, wie sicher ich im Umgang mit Anderen bin. Sicherheit ist dabei, wie bereits gesagt, ein immens wichtiges Thema, denn solange ich mich nicht sicher fühle, ist mein Nervensystem in Alarmbereitschaft und nur bedingt bindungsfähig. Wir brauchen unseren Körper, um so etwas wie ein Selbst zu empfinden und um dieses Selbst zu empfinden brauchen wir Beziehungen, die sicher sind.

Ein gesunder Selbstwert und eine Wahrnehmung, von dem was mir gut tut, ermöglicht es mir, gesunde Grenzen zu setzen, die darüber hinaus den Anderen erkennen lassen, wer ich bin (nämlich kein Packesel) und zugleich kann ich wahrnehmen und sensibel für die Grenzen Anderer sein.

Ein Schlüssel zur Wahrung gesunder Grenzen ist die Erfahrung von Identität und Integrität. Das bedeutet, auf den Punkt gebracht, zu wissen, wer ich bin und mich nicht zu verlassen oder zu verleugnen, wenn es schwierig im Kontakt zum Anderen wird.

Nicht zuletzt stellt sich jetzt natürlich die Frage, was zu tun ist, wenn ich damit aufgewachsen bin, dass meine Grenzen verletzt wurden. Wie ist es dann möglich zu heilen? Wenn ich als Kind erlebt habe, dass ich sehr sensibel und feinfühlig spüren musste, wie hoch der Stress-Level meiner Bezugsperson ist, dann ist in der Regel das Einfühlen, die Empathie in den Anderen zu einer Überlebensstrategie geworden, die mir Sicherheit im Kontakt mit Menschen geben soll. Diese Feinfühligkeit und Sensibilität sind wertvolle Qualitäten, die wir eventuell auch ressourcenreich und stärkend einsetzen können, sowohl für uns selbst, als auch in dem Gestalten feiner Grenzen. Denn das Spüren und Erfahren eigener Bedürfnisse und Impulse ist die Voraussetzung für die Entwicklung gelingender Grenzen.

Es ist gut zu lernen, wann im Kontakt mit Anderen etwas Altes getriggert wird und ich mich deshalb unwohl fühle, oder ob es andere Gründe gibt, die mich veranlassen gut für mich zu sorgen. Lerne dich kennen. Es ist eine riesige Ressource zu wissen, wer Du bist. Nicht zuletzt ist noch zu erwähnen, dass das, was mich heute vielleicht stört, an meiner Art in Kontakt zu gehen, oder auch Kontakt zu vermeiden, war evtl. früher überlebenswichtig.

Und wenn Du bemerkst, dass das schwierig ist, scheue Dich nicht dir Unterstützung zu suchen. Wenn Du Fragen hast melde Dich gerne, oder tausche Dich mit einer/m Freund:in über den Inhalt aus. Das was ich Dir hier anbieten konnte ist nur ein Ausschnitt und besitzt keinen Anspruch auf Vollstänigkeit. Deswegen ist für Dich vielleicht die folgende Buchempfehlung interessant.

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Herzensgrüße Chris