Bildung als eine Form der Begleitung:
Bildung als eine Form der Begleitung:
„Der Gebildete ist einer,
der ein möglichst breites und tiefes Verständnis der vielen Möglichkeiten hat,
ein menschliches Leben zu führen.“
Peter Bieri
Der Bildungsbegriff bezieht sich für mein Empfinden bei Weitem nicht nur auf die klassischen Ressorts wie Schule, Ausbildung, Studium oder Weiterbildung. Er erstreckt sich vielmehr auf alle Ebenen unseres Lebens. Jede Kulturleistung, sprich alles nicht originär im Menschen Angelegte, sondern was im Laufe der Jahre erlernt und kultiviert wurde, gehört mit in den Bereich der Bildung. Besonders Geistes- und Herzensschulung sind Aspekte, die mich hierbei interessieren. Bildung in diesen Bereichen hat das Potential einer dauerhaften, positiven Veränderung im Sein des Menschen.
Um in diesem Sinne zu lernen, zu lehren und zu arbeiten, geht es nicht in erster Linie um die Technik mit der ich etwas vermitteln möchte, sondern um die innere Haltung, die in der Vermittlung zum Ausdruck kommt.
Die Körpertherapie und körperorientierte Psychotherapie ist für mich Bildung und Lernen aus einem tiefen inneren Bedürfnis heraus, inspirierend und visionär. Bildung in diesem Zusammenhang ist für mich immer Herzensbildung und Therapie habe ich schon immer als Erziehung hin zur Liebe und besonders zur Selbstliebe verstanden.
Eine Suche, die mich begleitet zu meinem inneren Kern.
Ich glaube, dass Jeder, der sich auf die Suche begibt, um herauszufinden, was an Unbewältigtem in uns lauert, wenigstens eine Ahnung in sich trägt, dass Antworten im Verborgenen schlummern. Diese Ahnung und die Sehnsucht nach Antworten ist die Motivation, das zu entdecken, was in mir wohnt. Der Mensch, der keine geheimen Antworten oder Neugier in sich trägt, wird nicht beginnen zu suchen.
Der Therapeut wird zum Begleiter, der den Prozess des Entdeckens begleiten darf, wird dabei selbst zum Entdecker. Er unterstützt sein Gegenüber auf dem Weg sich bewusst zu werden, was in ihm wohnt, sein Potential zu erkennen und seine Möglichkeiten wahrzunehmen und umzusetzen.
In der Regel wird Bildung von außen verordnet und hat weniger mit innerem Bedürfnis, als mit äußerer Bedürftigkeit zu tun. Wenn wir unsere Biografien betrachten, werden von frühester Kindheit an von außen Anforderungen an uns gestellt, die selten das Wesen in uns meinen, sondern erwarten, dass wir uns in eine Form bringen lassen, die kompatibel ist mit den Erwartungen der Welt um uns herum. So lernen wir viele Dinge, beschäftigen uns dann auch beruflich oft mit Inhalten, die uns eher so weit von uns wegführen, dass wir oft die Wissensimpulse, die in uns stecken, kaum mehr erkennen. Der eigene Antrieb zu lernen und uns zu entdecken verschwindet immer mehr zugunsten eines Erwartungsdrucks den Andere an uns richten. Wir passen uns an und nehmen die eigenen Impulse nicht ernst, so dass sie verkümmern.
Der Druck von außen begleitet uns durch unser Leben, so dass wir es fast als normal erleben, erwartete Leistungen zu erfüllen. Ein Verhalten, das so verinnerlicht ist, dass es schwer fällt den Weg in die Eigenverantwortung zu finden und zu erkennen, welche Bildung der ureigene Ausdruck des eigenen Selbst ist und nicht das Verfolgen eines fremdgesteuerten Plans.
Der individuelle, ganz persönliche Ausdruck unseres Wesens verschwindet durch die Orientierung nach außen immer mehr. Angelerntes Kopfwissen und eine Vorstellung davon, was von uns erwartet wird, beziehungsweise was wir von uns selbst erwarten, gepaart mit dem Anspruch keinen Fehler zu machen, haben oberste Priorität. Uns allen fällt es schwer, sich nicht nur dem Mainstream zu beugen, sondern die eigenen Anliegen und Not-Wendigkeiten zu erkennen und authentisch zu bleiben.
Die Anforderungen an den Therapeuten, seine Klienten offen und aufmerksam in schwierigen Phasen zu begleiten sind oft hoch, denn oft ist das, was uns in der Praxis begegnet nicht angenehm und schön und erfordert ein hohes Maß an eigener Stabilität und Präsenz. Die eigene Bildung ist deswegen ein lebenslanges Thema.
Lernen aus dem inneren Kern heraus, um Erkenntnis zu gewinnen, ist selten gefragt und wird sowohl im Leben und häufig auch im therapeutischen Geschehen immer wieder von dem Erfüllen von außen vorgegebener Anforderungen überlagert.
Bildung, wie ich sie verstehe, rückt das Menschsein in den Mittelpunkt, das Gesunden an Leib und Seele.
Andere, nicht wir selber, entscheiden, was wichtig ist: Wirtschaft, Politik, Wissenschaft, Ideologien, Institutionen, Sozialgefüge und Moden bestimmen. Oft wird das Bedürfnis zu erfahren, wer ich bin, überlagert durch äußere Ansprüche, denen ich dann gerecht zu werden versuche. Diese Art von Bildung führt von der Weite meiner Möglichkeiten, in der ich als Kind noch verweile, in die fokussierte Enge.
Körpertherapie und körperorientierte Psychotherapie könnte eine Möglichkeit sein, diesen Prozess umzukehren.
Das Erleben im Jetzt hat Priorität und nicht das Lernen auf ein fernes Ziel. Es ist nicht leicht einen Weg zu finden, auf dem wir erfahren, wer wir sind. Therapie unterstützt darin, in die Ruhe zu führen, um etwas zu erkennen, dass schon immer in uns gewohnt hat.In der Bildung sollten Werte gefördert werden, wie Menschenwürde, Selbstwert, Achtsamkeit, Kreativität, Gleichmut, Freude und Begeisterung am eigenen Weg, Vernetzung und Verbindung von Gelerntem, Beziehung, auch und besonders zu sich selbst, Lebendigkeit und Begegnung, Selbstverwirklichung, Dankbarkeit, Lust am Lernen, am eigenen Sein und Interesse an Entwicklung.
Im therapeutischen Prozess entwickelt sich eine Möglichkeit dies zu entdecken und die Polarität von äußeren Ansprüchen und inneren Bedürfnissen zu balancieren, um ein erfülltes Leben zu führen und angemessene Spannung statt Spaltung zu generieren.
Erleben zu können, welches Glück es ist, sich auf die Suche nach sich selbst zu machen, ist für mich als Therapeutin ein Privileg. Der therapeutische Rahmen schafft einen Ort, an dem sich Menschen geschützt begegnen können, er stellt somit eine Basis da, wo Begegnung möglich ist. Ein Lernen, das vom augenblicklichen Sein geprägt ist und den eigenen Impulsen und Bedürfnissen Raum gibt. Ein Raum, in dem ich das eigene Da-Sein erlebe, um herauszufinden, was wirklich authentisch ist und was ist meinem Gewordensein geschuldet. Wenn ich es schaffe, diesen Raum immer wieder zu kreieren, dann hat Therapie die Chance erfolgreich zu sein.
„Lehrer öffnen dir das Tor.
Doch über die Schwelle treten musst du selber.“
Hakuin Zenji (1686 – 1769)
Nehmen wir den Satz des Thales:
„Alle Winkel am Halbkreisbogen sind rechte Winkel.“
(https://de.wikipedia.org/wiki/Satz_des_Thales)
Seit der Erkenntnis des Thales von Milet vor 2.500 Jahren
wurde dies milliardenfach (meist schulisch) weitergegeben.
Selten hatte dies weitere Erkenntnis zur Folge:
„Oh, das ist nützlich. Nach dem Prinzip lässt sich ein
Auflicht-Projektor bauen !“ („Thales Projektor“)
Ggf. noch: „Aha, ganz nett, aber was soll ich damit ?“
Meist eher: „Interessiert mich nicht !“
Hier geht es um eine Erkenntnis in analytisches Wissen:
Punktueller Sachverhalt, einfach nachvollziehbar,
sichtbar einleuchtend, unpersönlich, …
… und somit leicht vermittelbar.
Dem gegenüber steht die persönliche (Selbst-)Erkenntnis:
Total individuell, hoch komplex (mehrere Ebenen), kaum greifbar,
schwer in einen Ausdruck zu bringen, …
… und ggf. noch von unterbewussten Sabotage-Programmen verschleiert.
Hier gilt, was es so schwer macht:
Persönliche Erfahrung ist nicht vermittelbar !
Aber:
Der Moment der Erkenntnis ist immer gleich.
Das sprichwörtliche Fallen des Groschens. – „Pling !“
Der Moment, der sich so anfühlt, als dürften wir kurz
hinter den Vorhang schauen und das Große hinter den Dingen erkennen.
Der Moment in dem selbst Quantenphysiker religiös werden.
Der Moment, der uns antreibt…
Lieber Stefan, schon wieder eine so kluge Antwort. Und ja, ich gebe Dir Recht. Erkenntnis über mich selbst und darüber wie ich in der Welt bin, wie ich gewinne ich nicht nur durch starkes Nachdenken, sondern indem Körper, Geist und Herz eine gemeinsame Stimme finden können.
Dann ist Bildung ja mit Lebenserfahrung gleichzusetzen. Jeder wird durch äußere Einflüsse und seiner individuellen Aufnahme des Geschehens geformt. Es kommt also nicht nur auf Wissen in Form von, in der „Schule“ gelerntem an, sondern auf das, was man erlebt hat. So sind auch Menschen die in Entwicklungsländern in Slums groß geworden sind gebildet. Und könnten in einer Therapie schauen, was man aus ihrem Können machen kann.
Liebe Karin, ja, Bildung umfaßt soviel mehr, als nur antrainiertes Wissen. Auch das Reflektieren von Erlebten und Erfahrenem ist eine Kulturleistung. Und ja, eine therapeutische Begleitung kann hierfür so unterstützend sein. Zum Glück brauchen wir hierfür nicht immer eine Therapie. Ein waches und offenes Herz ist auch sehr hilfreich.
Vielen Dank, Chris